Mit dem Paprikaraumschiff unterwegs
Sigrid Katharina Eismann liest in Nürnberg
„Wie war der heutige Abend? Herzerwärmend. Warum denn? Ich spürte eine gewisse Atmosphäre, ein Aufgenommenwerden und es war mir ein sehr großes Vergnügen, hier im Haus der Heimat zu lesen und die anschließenden Gespräche zu führen. Mit Landsleuten. Der Rest steht im Buch.“ So die Autorin, Künstlerin und Performerin Sigrid Katharina Eismann am 4. November 2021 nach einer Lesesternstunde im Rahmen der Serie von Lesungen, die vom Kulturbeirat zugewanderter Deutscher seit Jahren zunächst (und hoffentlich auch künftig) in der Nürnberger Stadtbibliothek, derzeit im Haus der Heimat mit deutlichem Publikumsanklang – Banater Schwaben, Schlesier, Deutsche aus Russland, Siebenbürger Sachsen – ausgerichtet werden. Von Doris Hutter, Geschäftsleiterin im HdH, anregend begrüßt, gekonnt und gewandt von Thomas M. Zehender, Gründer und Verleger von danube books, moderiert, konnte sich die beachtenswerte Autorin vorlesend und diskutierend so richtig entfalten.
Ihr autobiografisches „Paprikaraumschiff“ sprengt die Grenzen des Romans, ist pure Poesie. Faktengefütterte Poesie einer zum Teil extrem schrägen Welt. Er „atmet sprachliche Opulenz, Bedeutungsvielfalt und historische Tiefe, als wäre das Habsburger Reich nie untergegangen.“ In ihm „mutiert das Wort zum Emblem der spielerischen, dynamischen Reise durch die Sprachen, Zeiten und Regionen.“ (Bernhard Bauser). Ihre Sätze sind „eine Industrie aus Seelen und Landschaften im Wortwechsel“ (Thomas Zehender).
Worte zu Poesie zu formen, Lyrik zu verfassen, ist eine Gabe. Sie auch so begabt, so raffiniert, so meisterhaft vorzutragen, dass man in ihren Bann gezogen werden kann, ist eine weitere, eine besondere Fähigkeit von Katharina Eismann, geboren in Temeswar 1965, 1981 nach Deutschland übersiedelt, in Offenbach zu Hause und im Main-Rhein-Bezirk ein Aktivposten in der Kunst- und Kulturszene.
Aufgewachsen in einer Welt zahlreicher Widersprüche im ländlichen Banat und einem lebendigen Temeswar, in ethnisch, religiös, kulturell vielschichtigen Strukturen im erstarrten, vom „Sonnengott“ Ceaușescu geleiteten Rumänien der 1970er Jahre, mit sechzehn in den unübersichtlichen Westen emigriert und grundlegend neu sozialisiert, kehrt Katharina Eismann als Erwachsene real und im Zeitsprung zurück in ihr nunmehr verändertes, jedoch genau so gemochtes Temeswar. Eigene Erinnerungen, Erzählungen aus ihrem Umfeld, mit wachem Sinn aufgenommenes neues Erleben bieten die Grundlage für das Schaffen frappierender Szenen mit auffälligen Sprachbildern. Kein Wunder bei Katharina Eismanns scheinbar unermesslichem Metaphernreservoir.
Gefragt, ob sie hier Nostalgie oder Abrechnung produziert, verneint sie kategorisch. Nein! Keine Nostalgie, keine Abrechnung. Ich bin nicht uniform, ich kapsele mich nicht ab. Ich bleibe neugierig und interessiert. Mich interessiert auch das heutige Temeswar. Durch Kreativität eröffnen sich auch für mich neue Möglichkeiten.
Die zahlreichen Einzeltexte (fast alle mit Datum versehen), fügen sich zusammen „zu einem atmosphärisch dichten Ganzen“ (Halrun Reinholz), sie lassen eigene Erfahrungen der Kindheit, Ausreise, Eingliederung, der Besuche im Banat, angereichert durch Mitteilungen der Großeltern und Eltern, Landsleute und Bekannte aufleuchten. Oft mit bissigem Humor, mit zarter Wehmut (ohne jede Form von Nostalgie), verortet sie sich präzise („Mein Atlas liegt zwischen den Welten, in der Lücke zwischen Landler, Balkanova und Rhein-Main.“), Sprache ist für sie nicht Knetmasse, Sprache ist für sie formbares Elixier, nicht versiegender Jungbrunnen poetischer Landschaften und Stimmungen. Auch wenn das mitgeteilte Erleben manchmal richtig weh tut. Hier eine Kostprobe, in der sie von ihrem Opa Peter verdichtet berichtet:
„Zwei Postkarten
Zehn ungeschriebene Jahre
Reptilien Haut schimmert auf der Kredenz: Nee-Omas schwarze Handtasche. Im Seidenfutter zwei vergilbte Postkarten aus Pappe. „Piotr Pflanzer“, Großvaters Name, auf Russisch. Zwei Postkarten in zehn Jahren – Otas Lebenszeichen aus Russland. Nach fünf Jahren Gulag sollte er entlassen werden. Die Gefangenen versammelten sich im Hof. „Piotr Pflanzer, heraus treten!“ Er wurde zu fünf weiteren Jahren Gulag verdonnert, war einfacher Soldat gewesen. Er teilte sich ein Erdloch mit hochrangigen SS-Offizieren. Ausgehöhlt wie ein Steinbruch kehrte er zurück. Nee-Oma legt die beiden Postkarten zurück ins Seidenfutter. Die Ledergruft schnappt zu.“ (Das Paprikaraumschiff, S. 88)
Sigrid Katharina Eismann gehört zusammen mit Kristiane Kondrat, Herta Müller, Iris Wolff der Gruppe von aufstrebenden Autorinnen aus dem siebenbürgisch- sächsischen bzw. banat-schwäbischen Donau-Dunstkreis.
Wer Katharina Eismann als Vorlesende, als Vortragende, als Gesprächsteilnehmende erlebt, wird in ihren Bann gezogen. Mit klarer Stimme, mit sauberer Artikulation, mit prägnanter Gestik, mit bündigem Sprachfluss schwingen ihre Gedanken durch den Raum, sie weicht auch schwierigen Fragen nicht aus, verteidigt ihren Standpunkt geschickt, öffnet dabei unerwartete Sichtweisen und Sprachwelten.
Fragt man Katharina Eisman, woher sie beim Zustandekommen ihrer bedenkenswerten inhaltlichen Vielfalt und ihrer oft überraschenden Sprachkonstruktionen schöpft, bleibt sie eine Erklärung nicht schuldig.
„Ja, das sind unsere Wege, Wege zwischen Bespitzelung, Menschlichkeit, Solidarität, Grenzen. Dadurch wird man zum Grenzgänger, das hat ja ein Literaturkritiker aus Wien – „ein ganz unglaubliches Buch“ – ganz gut auf den Punkt gebracht. Die genaue Beobachtungsgabe kommt auch durch diese Wachsamkeit und durch die Bespitzelung, der man ausgesetzt ist in einer Diktatur. Sie kommt auch aus dieser ganzen Familientradition von Menschen, die auch mutig waren, sich durchgesetzt haben und das ist ja das, was wir in den Familien erzählen, das ist ja das, was wir dann mitnehmen auch in die Emigration. Wir nehmen ja die ganze Familientradition mit, ob wir uns gut verstehen oder nicht verstehen, ob sie uns gefällt oder nicht. Das ist auch eine Last und auch ein Schmerzraum und auch eine Freude, aber das macht uns eben nicht tumb. Das ist Vielfalt, auch Vielfalt der Gefühle …“
Übrigens, Thomas Zehender, Verlagschef von danube books, schafft es seit 2015 nicht nur, Sprungbrett zu sein für zahlreiche Autoren aus dem Donauraum mit der Donau als Verbindungsstrom der Kulturen – eine in Europa einzigartige Vielfalt an Kulturen, Sprachen, Religionen und Ethnien mit zahlreichen Grenzen. Für ihn ist deren Überwindung ebenso Programm wie die Pflege der kulturellen Vielfalt in den Donauländern. Literaten wie Kristiane Kondradt, Hilde Link, Stephan Oszwáth, Ilse Hehn, Lothar Quinkenstein, Bogdan Coșa, Rayna Breuer, Klaus Rohrmoser, Pavol Rankov, Florin Iaru, Sophie Reyer, Mila Haugová, Admiral Mahic, Oxana Matiychuk sind in seinem Verlag bestens aufgehoben. Auch dafür gebührt ihm besonderer Dank.
Der Abend brachte neben Literatur pur auch Begegnung pur und konnte bei einem Glas Wein zum runden Abend werden.
Horst Göbbel