26. März 2023
Puppentheater Peter und der Wolf

Vergnügen pur

Peter und der Wolf im Haus der Heimat

 

Es gibt kaum ein Märchen bzw. ein Musikstück aus der Sowjetunion, das Erfolg (fast) ohne Ende in jeder Version verspricht. Auch in unseren Zeiten des Ukrainekrieges, in denen zunächst die Gefahr bestand, weil Putins Russland die Ukraine brutal überfallen hat, alles Russische über Bord zu werfen. Auch russische Sprache und Kultur, also auch russische Märchen oder russische Musik. Das wäre jedoch eindeutig Kurzsichtigkeit, letztlich unsinnige Kulturfeindlichkeit.

Man mag es nicht glauben, aber die großartige, vom zahlreichen gemischten Publikum – Kinder, Eltern, Großeltern – mit großer Spannung und großem Vergnügen verfolgte Darbietung von Jouri Kostew am Sonntagvormittag, am 26. März im Haus der Heimat hatte indirekt auch eine hochpolitische Facette: eine wundersame Geschichte, in der Tiere und Menschen vereint tätig sind, tun letztlich etwas Wunderbares, sie sind Sinnbild auch für den Frieden, für friedliches Neben- und Miteinander.

Für Generationen von Menschen auf der ganzen Welt ist dieses Stück die erste Begegnung mit einzelnen Instrumenten und dem Klang eines Sinfonieorchesters. Sergej Prokofjew (1891-1953, der lange in den USA und in Frankreich lebte und 1936 in seine Heimat, das nun sowjetische Russland zurückkehrte, erfolgreich und zuletzt von den kommunistischen Machthabern de facto doch fallengelassen, komponierte das Stück 1936 innerhalb von nur zwei Wochen und schrieb den Text selbst. „Mir war nicht das Märchen selbst wichtig, sondern die Musik, die die Kinder hören sollten und für die das Märchen nur den Vorwand bildete,“ erinnerte er sich später.

Jede Gestalt der Geschichte – Peter, das Vögelchen, die Katze, die Ente, der Großvater, die Jäger, der Wolf – hat ihr Leitmotiv, das immer dem gleichen Instrument übertragen und somit leicht wieder erkennbar ist.

Heute ist „Peter und der Wolf“ Prokofjews, dieses äußerst produktiven Musikers (Opern, Ballette, Schauspielmusik, Sinfonien, weitere Orchesterwerke, Sinfonien, Kammermusik, Klavierwerke, Vokalwerke, Chorwerke …) bekanntestes Werk und weltweit eines der am meisten gespielten Stücke klassischer Musik. Nun sollte es in einer neuen Variante im Haus der Heimat in Nürnberg zu genießen sein.

Mit einer sinnigen und kindgerechten Einführung stellte Doris Walter Jouri Kostew, den vielschichtigen Interpreten des Tages vor. Jouri Kostew ist ein russlanddeutscher Musiker, dessen Wurzeln bei den Wolga-Deutschen liegen. Selbst ist er in Omsk, in Sibirien geboren.

Von Beruf ist er Musiker und unterrichtete im Fach der russischen Folklore-Instrumente, wie Domra, Balalaika und Knopfakkordeon, das in Russland Bajan genannt wird. Er ist auch Orchesterdirigent. Noch in Russland lebend, war er in Sotschi, am Schwarzen Meer in einem Musik-Kolleg Musikpädagoge. Nach seiner Einreise nach Deutschland war er in Nordrhein-Westfalen 12 Jahre als Musikbibliothekar in Wuppertal in einem Sinfonieorchester tätig und wechselte danach in die Waldorfschule in Mönchengladbach als Musiklehrer. 1996, noch in NRW, gründete er die Band „Wolga-Virtuosen“ (Domra, Balalaika, Knopfakkordeon und die russische „Gusli“- eine Art Tischharfe), die bis 2016 aktiv war. Zurzeit leitet er ein Quintett, das aus professionellen Musikern des BKDR-Orchesters besteht. Dieses Quintett wird man bei der „Blauen Nacht“ am 5.-6. Mai in Nürnberg antreffen.

Peter, ein kleiner Junge, lebt mit seinem Großvater im ländlichen Russland. Eines Tages lässt Peter das Gartentor offen, und die Ente nutzt die Gelegenheit, auf dem nahen Teich zu schwimmen. Sie gerät in Streit mit einem Vogel („Was bist du für ein Vogel, wenn du nicht fliegen kannst?“ – „Was bist du für ein Vogel, wenn du nicht schwimmen kannst?“). Als sich eine Katze anschleicht, flüchtet der Vogel, von Peter gewarnt, auf einen Baum.

Peters Großvater ist verärgert, weil Peter das Gartentor offengelassen hat, denn es könnte der Wolf kommen. Er nimmt seinen Enkel an die Hand, holt ihn in den Garten zurück und schließt das Tor. Kurz darauf kommt der Wolf auf seinem Beutezug tatsächlich aus dem Wald. Er versetzt alle Tiere in Angst und Schrecken. Die Katze klettert schnell auf den Baum, die Ente aber, die vor Aufregung aus dem Teich gestiegen war, wird vom Wolf in großer Eile und Fressgier lebendig hinuntergeschluckt.

Mit List, einem Seil, viel Glück und der Hilfe des pfiffigen Vögelchens gelingt dem unerschrockenen Peter den Wolf einzufangen und die Jäger davon abzuhalten, den Wolf zu erschießen. Stattdessen wird er im Triumphzug in den Zoo gebracht. Ganz am Schluss hören wir laut Sergei Prokofjew die Ente im Bauch des Wolfes schnattern, weil sie lebendig hinuntergeschluckt wurde. Und genau hier setzt Jouri Kostew mit einer zündenden Idee ein. Die Ente wird gerettet und die gesamte versammelte Tier- und Menschen Welt feiert den glücklichen Ausgang durch das friedliche Miteinander. Warum, das verrät mir in einem Kurzinterview dieser Tausendsassa – er hatte die Idee zur Aufführung, er baute das komplette Bühnenbild, er spricht, er singt, er zieht als Puppenspieler alle Fäden, er achtet darauf, dass der musikalische Hintergrund rein technisch akkurat und synchron abläuft, er verliert die anwesenden Kinder nicht aus den Augen, noch mehr, er baut sie geschickt in die Handlung ein – und das alles gleichzeitig – später. „Das war der Wunsch meiner Enkelin Laura. Sie hat mir gesagt, es wäre unfair, die Ente sterben zu lassen. Ich war damit einverstanden und am Ende waren alle glücklich: Laura, ihre Eltern, ihr Bruder, meine Frau, die Ente und ich.“ Meine Interpretation der letztlich zentralen Aussage mag etwas daher gekommen erscheinen, jedoch ist sie möglich und belegbar. Der Autor hat aus guten Gründen kein Opfer der Ente oder des Wolfes am Ende des Märchens präsentiert, sondern eine Gemeinschaft von Mensch und Tier, die trotz vorheriger Konflikte friedlich neben- und miteinander weiterleben. Somit ein Gegenentwurf zur aktuellen Lage in der Ukraine, wo der russische Wolf, meistens ist es der russische Bär, die ukrainische friedliche Tierwelt angegriffen hat und Frieden einkehren sollte. Diese Interpretation teilt auch Jouri Kostew.

Die Idee, das musikalische Märchen „Peter und der Wolf“ in einer Aufführung mit Erzähler, Figurenspiel und Livemusik zu kombinieren, bleibt schon bei Prokofjew ein spannendes, unterhaltsames, zugleich auch humorvolles Familienkonzert mit großen erzieherischen Potenzialen. Die Kombination der drei Darbietungsformen lässt die Geschichte in besonderem Maße lebendig und greifbar werden. Sie regt die Fantasie der kleinen (und erwachsenen) Zuschauer und Zuhörer an und ist für alle Beteiligte ein großer Spaß und ein besonderes Erlebnis mit einer humanen Zukunftsvision. Zahlreiche Aufführungsvarianten und -Variationen kennt dieses überragende musikalische Märchen. Im Haus der Heimat mit Jouri Kostev, der die drei Darbietungsformen allein aus einem Guss uns, seinem dankbaren Publikum lieferte, war es ein besonderer sonntäglicher Genuss. Danke, Herr Kostew!

Horst Göbbel

Fotos: Horst Göbbel

Jouri Kostew mit seiner Rasselbande in Richtung Zoo