Ein Abend mit ungeahnten Tiefen und
zwei Führungen mit interessiertem Publikum
„Mythologie und Historie – Illustrationen von Sieglinde Bottesch“
Ausstellung in der Stadtbibliothek Nürnberg
„Liebe Frau Bottesch, Hexen und Siebenbürgen, funktioniert das?“ „Ja, ich würde fast sagen natürlich, weil erstens einmal in den Sagen, die ich jahrelang illustriert habe, die Hexen einen sehr wichtigen Platz einnehmen und immer wieder vorkommen, aber in einer Form dargestellt, wo man eher so in Richtung Humor gehen möchte, also es ist nicht erschreckend, wenn da geschrieben wird, dass sie durch den Schornstein hoch fuhren mit dem Leintuch um die Schultern, mit geöffneten Haaren, dann losflogen zu dem Tanzplatz, wo der Sabbattanz stattfand. Und das war eigentlich, wenn ich es illustriert habe, eher belustigend. Aber der Impetus für den Hexenzyklus war ein Text von Ricarda Tellschwang und im Anhang von Emil Sigerus ein Bericht beziehungsweise eine Chronik, wo mit Daten und Jahreszahlen belegt wurde, wenn Hexen umgebracht wurden, geköpft, verbrannt, oder im sogenannten Schneiderteich in Hermannstadt ertränkt, oder auf dem Großen Ring verbrannt wurden …“
Nach dem Lesen dieser Texte war Sieglinde Bottesch erschrocken und tief erschüttert. „Ich sagte mir, das musst du einmal in Bilder umsetzen. Es hat ja dann Jahre gedauert, bis ich überhaupt die zeitliche Gelegenheit hatte, diesen Zyklus zu beginnen, aber das war so tief in mir, dass ich das einfach machen musste.“ Originalton Sieglinde Bottesch bei der Vernissage ihrer Ausstellung in Nürnberg am 7. Juli 2022. Eine denkwürdige, viel beachtete Veranstaltung mit Tiefgang, ein Projekt des „Nürnberger Kulturbeirats zugewanderter Deutscher“ in Kooperation mit der Stadtbibliothek im Bildungscampus: „Mythologie und Historie – Illustrationen von Sieglinde Bottesch“. Texte aus ihrer siebenbürgischen Heimat waren also für die Künstlerin der Impuls zu eindrucksvollen Bildern, die eine geheimnisvolle Welt voller Fabel- und Fantasiewesen für die Zuschauer öffnet. Erstmals ist auch der neue, zwischen 2017 und 2021 entstandene Hexenzyklus zu historischen Berichten über Hexenverfolgungen in Siebenbürgen bis zum 10. September 2022 zu bestaunen.
Malerin, Grafikerin und Objektkünstlerin Sieglinde Bottesch
Die 1938 in Hermannstadt geborene und in Siebenbürgen bis 1987 wirkende Künstlerin Sieglinde Bottesch lebt und arbeitet in Ingolstadt. Ausgebildet in Bukarest an der Fakultät für Bildende Kunst des Pädagogischen Instituts, ist die Malerin, Grafikerin und Objektkünstlerin Sieglinde Bottesch früh ins internationale Rampenlicht getreten. Ihre umfassende Ausstellungstätigkeit, gediegene Publikationen sowie zahlreiche Preise und Ehrungen – der Siebenbürgisch-Sächsische Kulturpreis 2016 ragt hier besonders hervor – lassen die auch als Kunstpädagogin in Großau, Hermannstadt und Ingolstadt wirkende hochbegabte, auch heute sehr vitale Künstlerin mit breiter Ausdruckskraft trotz Pandemie und üblichen Widrigkeiten mit Zuversicht nach vorne blicken.
Zusammenarbeit der Stadtbibliothek Nürnberg
mit dem Nürnberger Kulturbeirat zugewanderter Deutscher
„Lange mussten wir auf diese Ausstellung warten,“ äußerte Dr. Christine Sauer, Stellvertretende Bibliotheksleiterin und Kuratorin der Bottesch-Ausstellung., bei der Vernissage. Sie betonte in ihrer einladenden Einführung nach der Darstellung der fruchtbaren Zusammenarbeit mit dem Kulturbeirat zugewanderter Deutscher und dem Haus der Heimat, vertreten durch Projektleiterin Birgit Fernengel und Geschäftsleiterin Doris Hutter, die Eindringlichkeit der „sehr berührenden, dunklen Bilder“, in deren Bann man auch durch die Auseinandersetzung mit dem Thema „unrechtmäßige Folter wahrlich hineingezogen wird.“
Schauspiel, Musik, Frauenpower
Den Monolog einer Hexe präsentierte Eva-Maria Piringer. „Nein Hex, geh fort, unser Haus bleibt rein … Ich hab´ kein Unrecht getan … ich hab´ solche Angst, solche Angst, lass mich sterben, lass mich sterben, bevor ich ins Feuer muss …“ Eva-Maria Piringer (geb. in Großpold) ist ein Phänomen: Als Schauspielerin gelingt ihr auch diesmal vortrefflich, sich in die Lebenswelt völlig unterschiedlicher Charaktere zu begeben und diese mit großer Expressivität zum Leben zu erwecken. Diesmal auf der Grundlage eines eigenen Textes. Diesmal als angeklagte Hexe, als todgeweihte Frau. Mit ihrer vielschichtigen Ausdruckskraft reißt sie mit, zieht die Zuschauer vollkommen in ihren Bann. Das innere Leid, die Verzweiflung, die pure Todesangst, das tiefe Fragen, sich selber zu erklären, wie sie zur Hexe abgestempelt in die Falle geriet, aus der es kein Entrinnen gibt, sie kann all das meisterhaft in den abendlichen Raum mit höchster Wirksamkeit transportieren. „Sie gesteht. Morgen wird die Hex verbrannt!“
Dipl. mus. Soloviolonistin Christine Meier-Volland bestritt auf hohem Niveau die passende musikalische Umrahmung des Abends: hexenhaft tiefe, surreale, zum Teil gehackte Töne kamen zum Vorschein, als sie Préludes, opus 34, Nr. 24 von Julian Sitkovetsky, eine Improvisation im Stile von John Cage und einen Auszug aus dem „Adagio in g-Moll“ von Tomaso Albinoni darbot. Exakt passend zur übergreifenden mythischen Thematik des Abends.
„Hexen fliegen durch die Luft“ heißt es im Flyer zur Ausstellung, „oder nehmen Tiergestalt an, Wetter- und Feuerdrachen treiben ihr Unwesen: die Sagen Ihrer Heimat Siebenbürgen inspirieren Sieglinde Bottesch. Dabei entstehen eindrückliche Illustrationen zu kraft- und fantasievollen Geschichten.“ (Dr. Sauer/Bottesch) Der Hexenzyklus, erstmals ausgestellt, fußt auf historisch verbürgtem leidvollem Geschehen in Hermannstadt. Mythen, Sagen, Redensarten, Volksweisheiten auch des Alltagslebens der Siebenbürger Sachsen, künstlerisch wunderbar anschaulich verarbeitet, als Quelle zu sehen, aus der Sieglinde Bottesch unermesslich schöpft, auch das wird in dieser Ausstellung deutlich: „Kunst ist ein Weg der Selbsterfahrung. In ihr erkennen wir, was in uns gelegt ist.“ Wie sehr Sieglinde Bottesch auch damit Recht behält, dokumentiert auch ihre Ausstellung „Mythologie und Historie“ in Nürnberg, deren Eröffnung eine Erfahrung bot, die kaum jemand der zahlreichen Besucher missen möchte. Danke Sieglinde Bottesch, danke Dr. Christine Sauer, danke Kristine Meier-Volland, danke Eva Piringer, danke Birgit Fernengel, danke Doris Hutter. Frauenpower pur!!!
Horst Göbbel
Führungen durch die Ausstellung am 14. und 21. Juli
Zu den beiden Führungen kamen unter den Interessierten auch Gäste, die nach dem Besuch der Vernissage das Bedürfnis verspürten, sich tiefer auf diese Ausstellung und ihre Thematik einzulassen. Sie wurden nicht enttäuscht: Sieglinde Bottesch, extra dafür angereist, erzählte neben erschütternden Geschichten aus der Zeit der Hexenverfolgungen, u.a., dass es ein Gesetzbuch für die Hexen gegeben habe, breitwillig auch über die dargestellten Sagen und über die Techniken, mit denen sie die Exponate angefertigt hat, die im Ausstellungskabinett, bzw. gleich daneben in der Bibliothek der Hexenzyklus zu besichtigen sind.
Hochdruckverfahren
Im etwas versteckten Ausstellungskabinett mit zauberhafter Ausstrahlung, wo die Hexen aus Sagen, die bei der Künstlerin „eher ein Schmunzeln hervorgerufen haben“, ausgestellt sind, beeindruckt auch die äußerst edle Darstellung der Exponate, die im Hochdruckverfahren hergestellt wurden. Bei der Technik des Holzstichs wird das Motiv mit Sticheln in den Druckstock (Holzplatte) eingearbeitet. Beim Linolschnitt schneidet man mit Messern in die Linolplatte hinein. Was herausgehoben wird, bleibt beim Druck weiß.
Für den Hexenzyklus verwendete die Künstlerin eine andere Technik, die Monotypie.
Ausstellung nur noch bis zum 10. September zu besichtigen!
Zwischen den Büchern der Bibliothek an exponierter Stelle, wo die Studenten lesen und arbeiten, weckt der Hexenzyklus sichtlich Interesse. Wir wünschen der Ausstellung nicht nur Besucher aus den Reihen der Studenten, sondern laden Sie herzlich ein, Kabinett und Hexenzyklus in der Stadtbibliothek im Bildungscampus am Gewerbemuseumsplatz 4 (gegenüber vom Kino Cinecitta) auf der Ebene L2 anzusehen. Öffnungszeiten: Mo-Fr 11-19 Uhr, Sa 11-16 Uhr, an Feiertagen geschlossen. Zögern Sie nicht und denken Sie dran, dass die Ausstellung nur noch bis zum 10. September zu besichtigen ist. Herzlich willkommen!
Doris Hutter
Die Fotos stammen von Susanne Edelmann und Doris Hutter.