14. November 2019
Lesung mit Frieder Schuller im Zeitungs-Café Hermann Kesten

Brot als Rettung

Frieder Schuller folgte der Einladung des Nürnberger Kulturbeirates zugewanderter Deutscher und las am 14. November ein Fragment aus „Dr. Draculescu“ , seinem neuesten Roman, dessen Erscheinen für Herbst 2019 angekündigt ist. Moderiert wurde die Lesung souverän und sehr gut vorbereitet von Josef Balazs.

Der Name Frieder Schuller hatte zahlreiche Zuhörer angelockt. So reisten aus München an: Lilia Antipow vom Haus des Deutschen Ostens, Hans Peter Schuster vom IKGS und Konrad Klein. Dabei waren auch der aktuelle Dorfschreiber von Katzendorf Thomas Perle sowie die letzte Dorfschreiberin Dagmar Dusil. Sie alle wurden von Josef Balazs begrüßt.

Josef Balazs gab Einblicke in das Werk Frieder Schullers, verwies auf seine Vielseitigkeit und Güte. Er stellte fest, dass alles, was Frieder Schuller schreibe, seltsam ist, nicht ohne hinzuzufügen, dass seltsam als Kompliment zu werten sei.

Balazs führt durch die Biographie Schullers, des Dichters, des Theatermachers, des Künstlers, der in zwei Welten lebt. Schuller ist der Autor zahlreicher Lyrikbände und so ist es nicht verwunderlich, dass der Abend mit der Rezitation zweier Gedichte beginnt. Den Ausschlag für das erste „Siebenbürgische Dorfnamenfahrt“ gab das Verbot in kommunistischen Zeiten in Rumänien, als keine deutschen Namen mehr genannt werden durften. Da wurde in diesem Gedicht gerettet, was zu retten war an Bildern, Wörtern, Sätzen und nicht zuletzt an Namen: Die Dorfnamenfahrt beginnt „Auf Urwegen über verfallene Treppen“ und führt weiter über unzählige Dörfer, „schließlich und endlich muß keiner mehr ins Wurmloch flüchten/und ein Katzendorf zurücklassen,/ durch das nur noch Erinnerungen Radeln…“

Der Moderator möchte an Katzendorf anknüpfen und erfragen, wann das Abenteuer Katzendorf beginnt, doch Schuller blockt ab. „Mit meiner Geburt“, lautet die Antwort. Aus. Schluss. Josef Balazs schluckt. Der Gast ist König. Und wie nachfolgend in „Des Bischofs Brotzeit“ das Brot die Sachsen rettet, so rettet das 1980 geschriebene Gedicht „Palukes“ über den befremdlichen Moment hinweg. Schuller liest, und der Zuhörer erfährt, was es mit dem Palukes auf sich hat, „man nehme stehle stehe Schlange schmuggle/Maismehl händevoll und lasse es rinnen/geduldig ins kochende Wasser“ und dann koche man den Palukes so lange, bis man ihn in eine Schüssel „umsiedeln“ kann. Das Publikum ist begeistert und applaudiert.

Doch nicht die Lyrik sondern die Prosa soll im Mittelpunkt stehen. Frieder Schuller liest ein Fragment aus dem Roman „Dr. Draculescu“, das den Titel „Des Bischofs Brotzeit“ trägt. Das Fragment beruht auf einer historisch belegten Tatsache, die kurz in den Memoiren des siebenbürgischen Bischofs Friedrich Müller-Langenthal erwähnt wird.

Das Jahr 1952 scheuchte Gerüchte auf. Straßenhunden gleich liefen sie durch die aufgeschreckte Stadt, fraßen sich durch Bangen und Hoffen, hinterließen an Baum und Ecken übelriechende Nachrichten. Wir werden verschleppt, über die Karpaten getrieben, die Rumänen liefern uns den Russen aus, unsere Häuser reißt sich das Gesindel unter den Nagel.

So beschreibt Schuller die Atmosphäre der frühen 50 er Jahre, als Angstwellen sich ihren Weg durch das Sachsenvolk bahnten, als es hieß, das Sachsenvolk soll „zersiedelt“ werden. Das will der Bischof verhindern. Mit Brot, mit Hausbrot, denn „Brotbacken, das verstehen meine Sachsen. Ich kann es nicht, die Kommunisten noch viel weniger, also müssen die sächsischen Frauen Brot backen und unsere evangelische Gemeinschaft retten“, so der Bischof.

Eine Fahrkarte nach Bukarest ist das erste zu überwindete Abenteuer. Und danach kommt Genosse Schuster ins Spiel. „Allerdings ein ausgewiesener Kommunist, sogar ein gefeierter Illegalist, aber gezeugt von christlichen Eltern“. Seine Frau hatte „im besten siebenbürgischen Dialekt darum gebeten, eine heimliche Konfirmation ihrer Tochter zu ermöglichen“. Ja, der Bischof und der Genosse Schuster, sie sind sich schon mal 1927 nach einer Großdemonstration in Berlin vor dem Reichstag über den Weg gelaufen, der eine ein Gärtnergeselle, der andere Student der Theologie, „aber beide applaudierten bei der Rede eines Ernst Thälmann und pfiffen beim Gebrüll eines Goebbels“.

Schuller erzählt, fabuliert, beschreibt, unterhält mit feiner Ironie. Lässt seinen Bischof den Genossen Bodanasch, den zweiten mächtigen Mann im Lande, den zweiten in der Bilderreihe, die an der Wand hängen, in Bukarest aufsuchen. Mit einen Brot, einem Hausbrot von sächsischen Frauen gebacken und in Kronstadt im Zug in Empfang genommen, ein Brot umweltfreundlich in einem Säckchen mit Leinenstickerei verpackt. Bodanasch, selbst ein halber Ungar und einmal evangelisch getauft, ist begeistert.

Letztendlich siegt das Brot, das Brotrezept aus der Aktentasche aus dem Kochbuch der Martha Liess, von der Frau Bischof ihrem Mann in die Tasche geschmuggelt. Denn so argumentiert der Bischof: „unsere Leute sind nur als Gemeinschaft stark“. Zugegen bei diesem denkwürdigen Gabelfrühstück sind noch der Rabbi Moses Nelken und der Einflüsterer des orthodoxen Patriarchen. Und was der Rabbi sagt: „Wir lebten nebeneinander, und es war nicht gut. Wir lebten gegeneinander, und es war schlecht. Bleibt nur die dritte Möglichkeit, füreinander zu leben“.

Mit einem sächsischen Hausbrot hat der Bischof überzeugt, denn „es ist der Inbegriff des Lebens. Es vereint Gegensätze wie Himmel und Erde, Licht und Dunkel“.

Die Lesung ist zu Ende. Es folgt ein Augenblick der Stille, bevor geklatscht wird. Vieles hat nachdenklich gestimmt. Und viele von Frieder Schullers geäußerten Gedanken sind aktueller denn je.

Von Seiten des Kulturbeirates dankt Doris Hutter Frieder Schuller und weist auch auf das Anliegen des Kulturbeirates hin, zu retten, was zu retten ist. Vielleicht sollte dieses ein Hinweis sein, mehr auf das Gemeinsame zu achten als auf das Trennende.

Dagmar Dusil

Flyer Lesung Schuller

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