Die in Kooperation mit dem Bildungscampus Nürnberg veranstaltete Lesereihe hatte am 12. Mai als Vortragenden einen Dichter, dessen Schicksal mit der Stadt Nürnberg eng verbunden ist: Horst Samson.
In einem Flügel des ehemaligen Kreuzganges des Katharinenklosters befindet sich das Zeitungs-Café. Hier kann man in den unterschiedlichsten Journalen blättern, aber auch gute Gespräche mit Freunden führen. So trafen sich vor der eigentlichen Lesung der Dichter Horst Samson und Josef Balazs, der seine ELF Fragen dem Autor vorlegte. Es entspannte sich ein Dialog über das Schreiben, über Poesie, über Gott und die Welt.
Susanne Schneehorst begrüßte das zahlreich erschienene Publikum im Namen der Stadtbibliothek und stellte mit einem Augenzwinkern fest, dass sie wohl die einzige im Saal sei, die Horst Samson nicht kenne. Alsdann übergab sie das Mikro Josef Balazs, der die Vorstellung des Dichters Samson in seinen Text Nachdenken über Horst S. einbettete.
In Rumänien war schon die Nennung seines Geburtsortes eine Provokation. Horst Samson bezeichnet sich selbst als „Bărăgansteppenwolf“. Das muss erst erklärt werden. Den „Steppenwolf“ wählte er wohl in Anlehnung an Hermann Hesses Roman; als Wortspielzusammensetzung zu verstehen. Denn wichtig ist auch eine gewisse Steppe im Süden Rumäniens, die Bărăgansteppe. Hierher wurden des Dichters Eltern in den frühen 50-ern deportiert und in der Steppe einfach ausgesetzt. Hier in einem einsamen Ort, mitten in der Steppe, in einer Ortschaft, die die Deportierten selbst errichteten, kam Horst Samson auf die Welt: „so dunkel und so ungenau / war die geschichte / meiner geburt“ (lebraum: nachbemerkung zu meiner geburt, 1985). Nach der Aufhebung der Deportation wurden die meisten dieser Schandorte eingeebnet. Deshalb durfte man diese Orte gar nicht mehr nennen … und doch gibt es Zeugen dafür … Horst Samson … „unter der fleckigen sonne / der baragansteppe / wurde ich geboren / neben einer distel“ (nachbemerkung zu meiner geburt, 1985).
Als Horst Samson gefragt wurde, was er denn lesen werde, schrieb er in seiner Mail: „Ich lese Lyrik aus meinen Gedichtbänden „Kein Schweigen bleibt ungehört“ (2013, Preis der Literaturgesellschaft Hessen) und aus „Das Imaginäre und unsere Anwesenheit darin“ (2014) sowie Prosa aus der mir gewidmeten Jubiläumsausgabe der Literaturzeitschrift „Bawülon“ anlässlich meines 60. Geburtstages.“
Nürnberg spielt insoweit eine große Rolle in seinem Leben, da in dieser Stadt für die meisten zugewanderten Deutschen das „Aufnahmelager“ in Langwasser, in einem der ehemaligen Grundig-Hochhäuser war. Horst Samson thematisiert in seinen „Nürnberger Gedichten“ die ersten Erfahrungen in Deutschland. Es war ein besonderer Wunsch des Dichters die Nürnberger-Texte in Nürnberg vorzutragen. Die Gedichte „1987 – Erster Ausgang“ oder „Nürnberg im März“, aber auch „Anfang einer Reise“ gehören zu diesem Zyklus.
Als Einstieg las er einige, wie er sie nannte, „Signaltexte“, um den Zuhörern den Weg in seine poetische Welt zu erleichtern. Das erste Gedicht „Die Zerstörung der Welt in sieben Tagen“, das schon 1981 geschrieben, aber erst 1991 publiziert wurde, brandmarkt in starken, gleichzeitig subtilen Bildern, wie leicht, in ebenfalls sieben Tagen, die Welt hinter dem Eisernen Vorhang zerstört werden konnte: „Am ersten Tag, vernagelte er die Türen, / Vergitterte die Fenster“, „Am dritten Tag schaffte er die schwarzen Zeitungen ab, / Erfand in mühevoller Arbeit / Die rote Zeitung und das Farbfernsehen.“ (aus BAWÜLON, 2/2014).
Der schwere Gang des Dichters in das andere Land wird im Gedicht „Meine schöne Traurige“ evoziert: „Ich habe die Schuhe geschnürt“ … „Ja, ich gehe / Mit meinem Schreibtisch unterm Arm / Ins mögliche Nichts.“ (aus „Kein Schweigen bleibt ungehört“, 2013)
In Nürnberg werden die ersten Erfahrungen „1987 – Erster Ausgang“, gemacht; ungewollte Erfahrungen mit der deutschen Geschichte am ehemaligen Reichsparteitagsgelände, wo der Dichter die „Massen jaulen“ hört.
„Nürnberg im März“ ist das zweite Gedicht aus dem „Nürnberg-Zyklus“, das als Ort der Entstehung die „Durchgangsstelle, 1987“ angibt.
Ein Höhepunkt der Lesung war das Gedicht „Pünktlicher Lebenslauf“, seinem Vater gewidmet und erstmalig 1982 im Gedichtband „Reibfläche“ erschienen.
Es besteht aus neun Zeilen, ein Gedicht, laut Samson, „über diesen schrecklichen unendlichen Krieg“. Dieses Gedicht hat für den Dichter „eine geradezu magische Wirkung, es läßt mich nicht los und es verbindet mich bis heute wie eine imaginäre Nabelschnur mit meinem Vater und seiner Geschichte, mit meiner Geschichte“ (aus: Über die Endlosschleife, 2013).
Unmittelbar nach der beeindruckenden Lesung von Horst Samson sprach Josef Balazs das Schlusswort, indem er die Rolle des Gedichtes im Leben des modernen Menschen betont; dabei zitiert er aus einer Rede Samsons: das Gedicht ist … in persönlichen Notzeiten des Getriebenseins auch Heimat für alle, die keine haben. Wer sich in ein Gedicht flüchtet, wird weder nach Herkunft oder Hautfarbe, noch nach Geschlecht, Vermögen oder Reisepass gefragt, sondern er darf als Dazugehörender mitreisen, kreuz und quer durch die Sprachen, Bedeutungen, Epochen, durch Vaterländer, Muttersprachen und Kontinente, und sei es bis ans Ende der Welt.
Josef Balazs