29. Januar 2015
Lesung mit Richard Adleff im Nürnberger Zeitungscafé „Hermann Kesten“

„Unser Leben ging vorläufig weiter.“ – „Ist das wirkliches Gold oder nur reines Bewusstsein?“ –
„Die Freiheit ist eine Erwartung.“ Diese und ähnliche Aussagen waren am 29. Januar im Zeitungscafé „Hermann Kesten“ in der Nürnberger Stadtbibliothek von Richard Adleff zu hören. Der siebenbürgisch-sächsische Autor las auf Einladung des „Kulturbeirats zugewanderter Deutscher“ vor Literaturliebhabern.

Menschen (oft Männer – etwa Herr Flöte, Herr Tee, Herr Brunner, Herr Berg), Brücken, Maschinen kommen zu Wort. Vom Satzbau her völlig verständlich, inhaltlich immer wieder überraschend aneinander gefügt, bekommen Worte, Begriffe, logische Verbindungen bei Adleff ein eigenes, ein eigentümliches Leben. Dieter Roth, ein Dichterkollege Adleffs stellt treffend fest, „der Vorgang, das Ereignis“ sei bei Adleff nicht „Gegenstand des Textes, sondern der Text selbst war Vorgang und Ereignis“ bzw. „Sprache wurde plötzlich körperlich greifbar.“

Eigentlich hatten wir es bei der Autorenlesung Richard Adleffs mit zwei siebenbürgisch-sächsischen Könnern von großem Kaliber zu tun: dem Autor selber und seinem „Begutachter“, dem Literaturwissenschaftler Michael Markel, der zwischen 1962 und 1992 als Dozent für deutsche und rumäniendeutsche Literatur an der Universität Klausenburg gewirkt und sich als Autor und Herausgeber einen Namen gemacht hat. Unter dem Motto: „Die Zeit, mit den Göttern zu reden, ist kostbar“ führte Michael Markel kompetent, umfassend und niveauvoll in die Lesung Richard Adleffs ein und fügte am Schluss sinnigerweise hinzu: „Die Zeit ist kostbar, die Worte sind es auch.“ Trifft er damit Adleffs Schreibart? Oder zumindest eine Nuance davon? Eindeutig ja. Markel schreibt: „Adleffs Texte bilden mit ihren oft skurrilen oder grotesken Bauelementen nicht Wirklichkeiten ab, sondern entwerfen aus freiem Phantasiespiel auf abstrakter Ebene neue Realitäten mit einer klaren Aussageorientiertheit ihrer schlüssig konstruieren Konfliktkonstellationen. Logisches Ergebnis solchen Schreibens sind botschaftende Stellvertretergeschichten: Exempel, Gleichnisse, Parabeln aufklärerischer Substanz, intellektuelle Kopfgeburten.“ Richard Adleff, gefragt, was den Gegenstand seiner Texte ausmacht, meint, es gelte, „menschliche Existenz im Kräftefeld ihrer Bedrohung von außen und innen“ ernst zu nehmen. Richard Adleff schreibt laut Michael Markel unter anderem Versagergeschichten („Geschichten von Käuzen und Versagertypen, die darum wissen, dass sie im Leben zu kurz gekommen sind und die dem Leidensdruck meist auf skurrilen Wegen zu entkommen suchen.“), Gleichnisse paradoxer Schlüssigkeit, die „vielfache Sinnassoziationen wecken“, skurrile Parabeln, Alptraumgeschichten, umgepolte Mythen oder Kurzgeschichten im Modus des Märchens. „Adleff mag wohl Skeptiker sein, Pessimist ist er nicht. … Vorgetäuschte Märchennaivitäten werden bei Adleff durch parodistisch aufbereitete Trivialitäten und augenzwinkernde Illusionsbrechungen aufgehoben sowie durch Zeichenhaftigkeiten angespitzt.“

Der heute in Erlangen lebende Richard Adleff wurde 1932 in Hermannstadt (Siebenbürgen) geboren, war während seines Bukarester Studiums (Elektrotechnik, dann Germanistik 1951–1961) mit den späteren Schriftstellern Heinrich Lauer, Dieter Roth befreundet und gehörte zum Literaturzirkel um Oskar Pastior, Dieter Fuhrmann, Georg Hoprich. Nach dem Studium arbeitete er als Stilreferent bei der Kronstädter Volkszeitung, seit 1968 als Feuilletonredakteur bei der Kulturzeitschrift Karpatenrundschau und hat dort hauptsächlich Literaturkritik veröffentlicht, ehe 1971 sein erster Band kurzer Prosa erschien. Nach seiner Ausreise1973 hat Richard Adleff in Erlangen noch Sozialwissenschaften studiert, hat die Lehramtsprüfung abgelegt und war 1974–1998 Gymnasiallehrer in Erlangen. Nebenher hat er seine schriftstellerische Tätigkeit fortgesetzt und in Deutschland weiterhin Kurzprosa veröffentlicht, in den Südostdeutschen Vierteljahresblättern (2/2005) als Zukunftsverheißung ein Romanfragment Kronstädter Luft (Daten aus dem Handzettel zur Lesung).

Auch als Vortragender konnte Richard Adleff im Zeitungscafé beeindrucken. Er las u.a. aus
Herr Flöte und seine Schneider (Prosa. Bukarest: Kriterion Verlag 1971), Der lange Weg zum Markt (Kurzgeschichten. Berlin: Frieling Verlag 1992), Die Zugmaschine (Erzählungen. Berlin: Frieling Verlag 1993), Ulysses und die Lemuren (Elf Erzählungen. Berlin: Frieling Verlag 1995),
Passion des Entzugs (Erzählungen. Geldersheim: Vetter Verlag 2003), sowie zu Beginn aus einem seiner fünf Romanfragmente Kronstädter Luft (hier ein historisch relevanter Rückblick auf Begebenheiten in Kronstadt 1945). Vorlesen, erläutern, kommentieren, einordnen durch den Autor verstärkte das unmittelbare literarische Erleben der Anwesenden in besonderem Maße.

Richard Adleff zeigt sich rüstig, locker, genussfreudig. Was er wirklich kann: Mit Sprache umgehn, wie ein echter Könner, der er ist.

Horst Göbbel