„Vergnügt zu seyn, ist wohl erlaubt …“
Singen in der Loge in Nürnberg
Regelrecht freudetrunken – man darf Schillers „feuertrunken“ in der Ode an die Freude auch so paraphrasieren – besiegelten wir am Sonntag, 25. Oktober, im Renaissancekleinod Nürnbergs, im historischen Hirsvogelsaal, einen Abend voller Güte, voller Anregungen, voller logenhafter Sinnlichkeit. Kultur pur. Unserem Landsmann Josef Balazs gelang mit seinem Konzept „singen in der loge – Eine Reise durch die Liederbücher der Freimaurer des 18. Jahrhunderts“ zusammen mit seinen beiden erstklassigen Interpretinnen Dagmar Loris (Klavier, Cembalo, Gesang) und Václava Tichá (Sopran) förmlich der große Wurf: Neue Erkenntnisse, hoher Wort- und Musikgenuss, umfassendes Vergnügen. Neudeutsch gesagt: Ein pures emotionales Highlight.
Die Freimaurerei tritt ein für die Überwindung von nationalen und konfessionellen Gegensätzen im brüderlichen Geist, für Duldsamkeit, gegenseitige Hilfeleistung und liberale politische Institutionen. Dieser Bund freier Menschen lebt von der Überzeugung, dass die ständige Arbeit an sich selbst zu einem menschlicheren Verhalten führt. Die fünf Grundideale der Freimaurerei sind Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität. Sie sollen durch die praktische Einübung im Alltag gelebt werden.
Josef Balazs führte uns in die Loge ein. In der Loge wird in geschlossenem Kreis rituell kommuniziert. In der Loge wird meditiert. In der Loge wird jedoch auch gegessen, getrunken, musiziert. Josef Balazs servierte uns mit teils bekannten, zumeist jedoch seltenen, kaum beachteten barocken Preziosen eine köstliche Mahlzeit. Eine Mahlzeit zur Stabilisierung des Gemüts, zur Aufheiterung der Seele, zur Bildung des Herzens.
Irgendwie reihten wir uns an diesem Abend auch durch den Veranstaltungsort des im Krieg vollständig zerstörten, erst vor knapp 15 Jahren wiederaufgebauten Hirsvogelsaals, ein beredtes Zeugnis des gehobenen Kulturverständnisses der Renaissance, in eine Folge kulturhistorischer Fakten bzw. Etappen abendländischer Kulturgeschichte ein
Wir gönnten uns – bewusst und völlig legitim – trotz Phaetonkatastrophe damals oder Flüchtlingskrise heute Augenblicke des hohen ästhetischen Genusses.
Josef Balazs führte uns mit klarer, fester und zugleich verbindlicher Diktion aus der damaligen und heutigen lauten, profanen Welt in die Ruhe der Loge, ergründete feinfühlig das Geheimnis des Freimaurerliedes, hob aus den Freimaurerliederbüchern des 18. Jahrhunderts manchen Schatz und ließ ihn musikalisch an diesem bedenkenswerten Abend – zum Teil wohl erstmals seit 200 Jahren – erbauend vor und für uns aufleuchten.
Der einnehmende Einstieg mit der Ouvertüre zur Zauberflöte von Wolfgang Amadé Mozart von 1791 bereitete uns auf kaum bekannte Perlen vor: Johann Gottlieb Naumanns „Beim Eintritt in die Loge“ von 1782 oder „Come, let us prepare“ von Matthew Birkhead (1722) oder „Frères et compagnons de la maçonnerie“ von Jaques-Christophe Naudot (1737). Für die deutschen Anfänge wählte Balazs aus den Freymäurer-Liedern von 1746 drei wunderbare Musikstücke von Ludwig Friederich Lenz (zwei Trinklieder: „In unsern Bechern wohnt die Freude“ und „Vergnügt zu seyn, ist wohl erlaubt“) und ein Hohelied auf das Frauenzimmer: „Laßt euch, ihr erzürnten Schönen“ sowie von Johann Adolf Scheibe ein Lied des Meisters der Loge „Kunst, die uns mit Lust begeistert!“ Dass nach Sätzen wie „Mit Trinklieder ist nichts Abwertendes verbunden“ oder den beiden vor der Pause genüsslich vorgetragenen Trinkliedern von Ludwig Friederich Lenz, den Worten, den Tönen auch Taten folgten, ist einem geschickten Schachzug des Kulturbeirates zugewanderter Deutscher zu verdanken: In der Pause wurde (und wird grundsätzlich) auch Wein serviert. An diesem Abend hatte sein Genuss eine besondere Note.
Im Abschnitt „Angekommen“ ertönte Mozarts „In diesen heil´gen Hallen“ aus der Zauberflöte, („In diesen heil´gen Hallen / kennt man die Rache nicht, / und ist ein Mensch gefallen, / führt Liebe ihn zur Pflicht. / Dann wandelt er an Freundes Hand / vergnügt und froh in´s bess´re Land …“), nachher bei der „Beförderung“ erklang ein Duett mit Begleitung des Cembalo „Zur Gesellenreise“ (1784/85) von Johann Baptist Holzer und die „Gesellenreise“ von 1785 von Mozart. Es folgte Johann Gottlieb Naumanns Gebet von 1788 während des Rituals: „Der du mit Weisheit, Stärk und Pracht“ und beim Schließen der Loge nochmals Naumann mit „Die Harmonie: Mauerer, hört den Klang der Lieder“.
Dabei war die schalkhafte Note von Josef Balazs´ präziser Moderation unüberseh-, unüberhörbar. Stattlich kam er daher, führte ein, erläuterte und gab die Bühne frei für die bedenkenswerten musikalischen Interpretationen durch die beiden ausdrucksstarken Musikerinnen Dagmar Loris und Václava Tichá.
Zum Abschluss des denkwürdigen Abends gab es ein Bonbon: Zuerst das Gedicht von Friedrich von Hagedorn „An die Freude“ als eine Vorgängerkomposition von Johann Valentin Görner (1744), die wohl Ludwig van Beethoven kannte, als er Friedrich Schillers Text der „Ode an die Freude“ „mit starker Hand“ neu redigierte, 1824 vertont in seine 9. Symphonie einbaute und sie dadurch so expressiv gestaltete, dass sie mit Recht heute europaweit und weltweit bekannt ist. Seit 1985 ist eine Instrumentalfassung des Hauptthemas „An die Freude“ aus dem letzten Satz der neunten Symphonie Beethovens offizielle Europahymne. Wir im Hirsvogelsaal konnten „Freude, schöner Götterfunken, /Tochter aus Elysium, / wir betreten feuertrunken, / Himmlische, dein Heiligtum …“ alle mitsingen und damit diesen runden Abend aktiv vollenden. Auch die anwesenden Kaiser, Augustus oder Titus, sogar Nero, meinten, vergnügt zu sein, ist wohl erlaubt …
Eine zweite Aufführung erlebten wenige Tage später (am 29.10.) weitere Musikliebhaber im Haus der Heimat. Josef Balazs und die beiden sehr überzeugend musizierenden Interpretinnen Dagmar Loris und Václava Tichá gelang es auch an diesem Ort vortrefflich, das Publikum mit ihrer Darbietung zu begeistern.
Horst Göbbel