5. Oktober 2013
Konzert „Alfred Schnittke“

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Die Suche nach Versöhnung – Seilgang zwischen dem Irdischen und dem geheimnisvoll Göttlichen
Veranstaltungsreihe des Nürnberger Kulturbeirats zugewanderter Deutscher mit Musik von Alfred Schnittke

Klänge wie diese füllen das Heilig-Geist-Haus ganz sicher nicht so oft. Während des Alfred-Schnittke-Konzerts am 5. Oktober 2013 durften die Gäste in ungewohnte Klangwelten eintauchen, in denen Zerrissenheit und Heimatsuche, naive Idylle und brutales Chaos, enorme Geisteskraft und Zerbrechlichkeit, rastlose Erkenntnissuche und Verzweiflung, Klangsinnlichkeit und groteske Melancholie, Demut und Unruhe, Trauer und Bedrohung, Schrecken und Todesnähe eine große Rolle spielen. „Tiefer, durchbohrender, ausdrucksvoller in der Beschreibung des Doppellebens, des Doppelbewusstseins“ kann man nicht sein, beschrieb der Geiger Gidon Kremer Schnittkes Musik.

Sechs Künstler und Künstlerinnen, deren Wurzeln in der ehemaligen Sowjetunion sind, entführten die Zuhörer im Heilig-Geist-Saal mit ausdrucksvollen und emotionalen Präsentationen in die einzigartige Musikwelt des weltberühmten Komponisten, von dem man sagte „Sein Name war Magie“ und den die „Berliner Morgenpost“ als „Dostojewski der Töne“ bezeichnete.

„Seine Zeit wird immer sein“- mit diesem Zitat stellte Dorothea Walter, Moderatorin des musikalischen Abends im Heilig-Geist-Saal und diesjährige Vorsitzende des Nürnberger Kulturbeirats, führte die Gäste durch das anspruchsvolle Programm. Sie stellte nicht nur das Leben und Werk von Alfred Schnittke, sondern auch die Interpreten seiner Werke ausführlich vor.

Alfred Schnittke gehört zur russischen Musikavantgarde, die seit den 80-er Jahren weltweit für Aufsehen sorgte. Vor über vier Jahrzehnten gehörte er zu den fast Verfemten und Beargwöhnten in der Sowjetunion, und dennoch fand er die Kraft, sich den Gegebenheiten nicht zu unterwerfen. Der Konflikt zwischen Kollektiv und Individuum, musikalisch übersetzt in ein Spannungsverhältnis von Orchester uns Solist, hat ihn zeitlebens beschäftigt und geprägt.

Zur schillernden Hinterlassenschaft des Komponisten gehören über 40 Orchesterkompositionen, außerdem Klavierkompositionen, Orgelwerke, Ballette, Kantaten, ein Requiem und drei Opern. „Schnittke ist zweifelsohne eine der bedeutendsten Erscheinungen, wenn nicht die bedeutendste überhaupt, in der Musikkultur des 20. Jahrhunderts. Weder philosophische Abgründe noch der Ausgang in den Kosmos bleiben ihm verschlossen. Nur wenige dürfen mit Gott sprechen können“, beschrieb treffend der Klavierinterpret Wladimir Krainew.

Polystilistik als Kompositionstechnik – das Verflechten verschiedener Stile gegen alle bekannte Logik – war Schnittkes Markenzeichen. Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges stürzte in seinen Klangwelten ineinander. Durch die Gegensätze sowie verschiedene Räume und Zeiten, die Schnittke zusammen brachte, entstanden faszinierende Hörerlebnisse: ausdrucksstark, emotional, wirkungs- und kraftvoll.

Auch in diesem Konzert konnten die KünstlerInnen die Magie der Musik und des Menschen Schnittke wunderbar zum Ausdruck bringen und die Zuhörer auf ein emotionales und geistiges Abenteuer mitnehmen. Stücke aus Schnittkes umfangreichem musikalischem Erbe wurden von Interpreten gespielt, die ihre Musikausbildung und Erfahrung noch in ihrer alten Heimat oder nachher in Deutschland machten.

Das Werk „Trio“ wurde eindrucksvoll vom „Trio Rachmaninoff“ mit Natalia Levitskaja (Klavier), Oleg Galperin (Cello) und Jamila Mussayeva (Violine) präsentiert. Das Stück „Sonata C-Dur“ erklang in der Ausführung von Natalia Levitskaja und Oleg Galperin.
Die mehrfach preisgekrönte Klaviervirtuosin Natalia Levitskaja, geb. im Uralgebiet, kommt aus St. Petersburg, wo sie Musik studierte und nachher als Dozentin an der hiesigen Musikhochschule tätig war. Seit 1995 in Deutschland, war sie bereits an verschiedenen Musikschulen, Gymnasien und Musikhochschulen tätig, zurzeit Lehrauftrag an der Musikhochschule Nürnberg. Darüber hinaus arbeitet sie als offizielle Korrepetitorin bei Musikwettberben und Meisterkursen.

Auch der Cellist Oleg Galperin, ebenfalls preisgekrönter Teilnehmer verschiedener Musikwettbewerbe, schloss in St. Petersburg sein Musikstudium ab, arbeitete als Musikpädagoge und an der Kammerphilharmonie St. Petersburg, absolvierte Soloauftritte mit verschiedenen europäischen Orchestern. Auch in Deutschland setzt er seine Konzerttätigkeit als Kammermusiker fort und unterrichtet an den Musikschulen in Amberg, Lauf, Heilsbronn, Fürth und Nürnberg.

Die junge Violinistin Jamila Mussayeva, geb. in Baku/Asebaidschan, trat bereits im Kindesalter mit Solokonzerten in verschiedenen Städten weltweit auf. Sie ist mehrfache Gewinnerin der nationalen Musikfestivals und verschiedener internationaler Musikwettbewerbe. 1998 war sie auf Deutschland-Tournee mit dem russischen UNESCO-Ensemble. Im gleichen Jahr wurde sie in das „Goldene Buch für junge Talente Aserbaidschans“ eingetragen und erhielt ein Stipendium des aserbaidschanischen Staatspräsidenten. Von 2004-2005 war Jamila Jungstudentin an der Hochschule für Musik in Nürnberg, wo sie 2009 ihren Diplomabschluss absolvierte. Seit 2010 wird sie von der Rupprecht-Stiftung Fürth unterstützt, unterrichtet an der Musikschule Wittl in Neumarkt/Parsberg.

Die Sopranistin Khrystina Pichkurenko sang das Lied „Mutter“ nach einem Gedicht von Else Lasker-Schüler und den Liederzyklus „Drei Gedichte von Marina Zwetajewa“ in deutscher Sprache in der Vertonung von Alfred Schnittke, begleitet von Natalia Levitskaja am Klavier. Die Sängerin kommt aus der Ukraine, seit 2005 studierte sie an der Musikhochschule Augsburg und später an der Hochschule für Musik Nürnberg, die sie 2012 mit Diplomabschluss abschloss. Zurzeit studiert sie Master Musiktheater an der gleichen Hochschule. Die junge Sopranistin ist mehrfache Stipendiatin, unter anderem des Richard-Wagner-Verbandes Nürnberg. Inzwischen wirkte sie erfolgreich an mehreren Opernproduktionen in Nürnberg und anderen Orten mit.

Das Klavierduo mit Larissa Lorenz aus Bayreuth und Veronika Eismont aus Ansbach spielte die „Gogol-Suite“ von Schnittke. Beide kommen aus Russland, wo sie am Konservatorium für Musik Ischewsk studierten. Mitte der 1990er wanderten die Russlanddeutschen nach Deutschland aus, hier treten die Pianistinnen bei Konzerten mit verschiedenen Musikensembles auf. Im März 2011 gründeten sie ein Klavierduo. Larissa Lorenz ist Dipl.-Klavierpädagogin und hat außerdem noch einen Abschluss als Redakteurin für Literatur und ist literarisch tätig. Seit 2001 ist sie als Klavierlehrerin und Korrepetitorin in Regen tätig, seit 2006 Mitglied des Trios Bavacesko (Geige, Cello, Klavier), gibt Konzerte in Niederbayern und Franken, unterrichtet derzeit Klavier an der Musikakademie Regen und Bayreuth. Veronika Eismont arbeitete auf der Halbinsel Krim als Chor-Korrepetitorin am Ukrainischen Staatstheater. In Deutschland ist sie am Carolinum Gymnasium als Klavierpädagogin tätig. Sie ist Mitglied des Ansbacher Damensalonsextetts „Salon Melange“ und arbeitet als Korrepetitorin mit Chören (Polizeichor Nürnberg) und Sängern (Comedy Club Fürth).

Mit viel Leidenschaft, Power und Körpereinsatz präsentierten beide Musikerinnen die „Gogol-Suite“ von Schnittke, die in den 1970er Jahren als Auftragswerk für das ungewöhnliche Gogol-Spektakel im berühmten Moskauer Taganka-Theater entstanden war und mehrere Gogol-Werke als literarische Vorlage hatte. Durch kühne Collagen und polystilistische Vielfalt hält der Komponist Schnittke der kranken Gesellschaft seiner Zeit mit ihrer behördlichen Willkür und Systemabsurdität, ebenso wie der Schriftsteller Gogol bereits vor ihm, den Spiegel vor. „Die Komposition entspricht völlig dem bekannten Spruch von Nikolai Gogol: ‚Die Welt hört mein Lachen, die Tränen sieht und kennt sie nicht.‘ Vielleicht war Alfred Schnittke derjenige, der mit seiner Musik versucht hat, unter Tränen zu lachen“, kommentierte Dorothea Walter. Die beiden Pianistinnen konnten den überwältigenden Eindruck der „Gogol-Suite“ vor allem durch ihr virtuoses Können, aber auch durch Verwendung einiger Symbole der damaligen Zeit wie Bilder oder typische Kleidungsstücke verstärken.

Zum Schluss wurde allen Künstlern gemeinsam mit Dr. Andreas Meier, Mitglied des Kulturbeirates und Stifter der beeindruckenden Veranstaltungsreihe, unter begeistertem Beifall des Publikums für ihr Engagement mit Blumensträußen gedankt.

Nina Paulsen

(Fotos und Videoclip: Alexander Bruch)