26. Oktober 2012
Herta Müllers „Herztier“ als Bühnenfassung

Diktatur non stop
Herta Müllers „Herztier“ als Bühnenfassung im Nürnberger Südpunkt

„Sprache kann den Blick auf die Wirklichkeit verstellen.“ So Rainer Hermann am 30. Oktober in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zum Begriff „Arabischer Frühling“. Bei Herta Müller verhält es sich umgekehrt: Sprache kann den Blick auf die Wirklichkeit in besonderem Maße schärfen. Mit Worten gegen die Diktatur ankämpfen, sich nicht verbiegen lassen, mit Worten Widerstand leisten – all das ist möglich und nötig zugleich. Dies konnten all diejenigen, die am 26. Oktober im SÜDPUNKT in Nürnberg der Bühnenfassung von Herta Müllers „Herztier“ beiwohnten, hautnah erleben. Beklemmend und befreiend zugleich. Die Inszenierung der Badischen Landesbühne für eine Darstellerin, eine dramaturgische Meisterleistung von Carsten Ramm und Nadine Schüller, kam bestens an. Herta Müllers Sprachrohr an diesem Abend, die geschmeidige Schauspielerin Andrea Nistor als Erzählerin, verkörperte die nobelpreisgekrönte Autorin ausgezeichnet.

Herta Müller, diese scharf denkende, klug formulierende, mit der Sprache förmlich jonglierende Könnerin besonderer Art (ihre sachbetonter Stil erinnert mich an Franz Kafka), diese Literatin mit einschlägigen Erfahrungen mit der Diktatur wird durch die Bühnenfassung von Carsten Ramm und Nadine Schüller sehr prägnant in das Zentrum des Geschehens gestellt. Ihr Thema, nein, ihre Lebenslast, sich der rumänischen Securitate zwar widersetzt zu haben, jedoch deren Krallen bis heute zu spüren (der im Programm mitgelieferte Text der Schriftstellerin „Die Securitate ist noch im Dienst“ spricht Bände) zeigt, dass sie die Schrecken der Diktatur nie losgeworden ist. Herta Müller, die in Rumänien und auch in Deutschland Gehetzte, vom engmaschigen rumänischen Überwachungsapparat Verfolgte scheint weit entfernt davon zu sein, mit ihren Veröffentlichungen lediglich Vergangenheitsbewältigung zu betreiben, sie betreibt förmlich so etwas wie Gegenwartsbewältigung. Die durch den unablässigen Psychoterror der Securitate davongetragenen tiefen Verletzungen, die seelischen Wunden, aber auch der zeitlebens an den Tag gelegte mutige Widerstand, die kämpferische Haltung durch und durch, das Sich-nicht-runterkriegen-lassen – all dies charakterisiert diese couragierte Streiterin für Freiheit. „Wenn man die Haare nicht schneidet, wird der Kopf ein Gestrüpp“, sagt die Erzählerin. Also muss man immer wieder aktiv sein, um den Durchblick zu behalten.

Wie perfide nach wie vor Diktaturen mit Dissidenten umgehen, äußerte Herta Müller auch 2011 in ihrer Laudatio für den chinesischen Dichter und Empfänger des „Geschwister-Scholl-Preises“ Liao Yiwu in Berlin: „Ich bin zwar nie verhaftet worden, aber davor hatte ich immer Angst, dass man mit erfundenen Straftaten beschuldigt wurde. Man hat mich oft genug verhört und viele Vorwürfe frei erfunden wie Schwarzhandel, Prostitution oder Devisenvergehen. Es war nie von Literatur die Rede.“

Verkörpert wird Herta Müller auf der Bühne von Andrea Nistor. Die Banaterin Andrea Nistor (Jahrgang 1983) mit deutsch-ungarischer und rumänischer Herkunft, Absolventin des Nikolaus-Lenau-Lyzeums in Temeswar, wo sie an der West-Universität Schauspiel studierte und ab 2002 Jahren am dortigen Deutschen Staatstheater und seit 2010 an der Badischen Landesbühne Bruchsal engagiert spielt, erscheint als beste Exklusivdarstellerin in Herta Müllers „Herztier“. Wie sehr ihr diese Rolle der Erzählerin auf der schiefen, dem Publikum zugeneigten Bühne liegt, zeigen die inzwischen mehr als 25 Aufführungen ohne jedwelche Schieflage. Andrea Nistor beherrscht den umfangreichen Text einwandfrei, agiert im gleißenden hellen Licht ebenso wie im Halbdunkel leichtfüßig, geschmeidig, souverän, artikuliert sehr klar, sauber – ein Hauch Banater Hochdeutsch klingt dabei wohltuend mit und verstärkt die klare Botschaft der banatschwäbischen Nobelpreisträgerin. Sprachtempo, Sprechvolumen, Bewegungsabläufe im musikalisch treffend von Hennes Holz arrangierten Klang- und von Christoph Häcker und Hanno Henninger meisterhaft gestalteten Lichtraum, lassen ihre Stärken noch deutlicher zu Tage treten. Als Überbringerin der Herta-Müller-Botschaft ist sie eindeutig die passendste Besetzung.

Die Bühnenfassung von Herta Müllers stark autobiografischem Roman „Herztier“ (1993), die sehr geglückte Bearbeitung von Carsten Ramm und Nadine Schüller, von der Romanautorin autorisiert, kann richtig elektrisieren. Ihr zentrales Thema, die vielfachen Beschädigungen durch ein totalitäres System, von denen Herta Müller selbst heute nicht loskommt und ihr gesamtes Schaffen beherrscht, ist auch im Bühnen-Herztier (natürlich) das A und O. „Sie arbeitet die Vergangenheit unter der Diktatur und der totalen Kontrolle auf und kämpft mit ihrer eigenartigen, poetischen aber völlig unsentimentalen Sprache gegen das Vergessen und das Verdrängen.“ (Theaterprogramm). Konkret heißt es in den Erläuterungen zum Stück: „Nach dem angeblichen Selbstmord ihrer Zimmergenossin lernt die Ich-Erzählerin eine Gruppe von männlichen Studenten kennen, genau wie sie Banater Schwaben. Alle vereint der Wunsch, dem totalitären Regime zu entkommen. Doch statt einem Leben in Freiheit führen die vier Freunde schnell ein Leben in Angst und Überwachung. Sie werden ausspioniert, weggesperrt, erpresst und verlieren jegliche persönliche Freiheit. Die Ausreise nach Deutschland bringt die so sehnlichst erhoffte Befreiung auch nicht. Drohbriefe, Drohanrufe und die erneute Bespitzelung gehören zum Alltag der Erzählerin und ihres Freundes Edgar. Ein Alltag den nicht jeder ertragen kann“. Mitglieder des Quartetts scheiden angeblich freiwillig aus dem Leben. Georg begeht in Deutschland Selbstmord und Kurt nimmt sich in Rumänien das Leben. Edgar steht im Roman für Herta Müllers Ex-Mann Richard Wagner, Georg ist Rolf Bossert, Kurt ist Roland Kirsch. Diese Fakten sprachlich aufzuarbeiten und in diesem Fall sogar erfolgreich auf die Bühne zu verfrachten, verdient hohe Anerkennung. Der langanhaltende Applaus machte dies auch deutlich. Der von Kulturbeiratsprojektleiterin Melitta Zakel beim Überreichen eines Blumenstraußes an Andrea Nistor formulirte Hinweis „Achtung, Wanzen sind eingebaut!“ rundete diese eindrucksvolle Aufführung im Duktus ihres zentralen Themas Diktatur und totale Kontrolle organisch ab.

Der „Nürnberger Kulturbeirat zugewanderter Deutscher“, der seit März 2010 die kulturellen Belange von Aussiedlern und Vertriebenen vertritt und sich zum Ziel gesetzt hat, qualitativ hochwertige Kulturarbeit in Form von Kulturveranstaltungen und Kulturprojekten als Beitrag zum Kulturleben der Stadt Nürnberg zu organisieren ist erfreut, sehr zufrieden und dankbar, als Veranstalter diesen bedenkenswerten Theaterabend ausgerichtet zu haben. Unsere nächste große Unternehmung steigt in der Ehrenhalle des Nürnberger Rathauses ab dem 12.11.2012: Die Bilderausstellung „Zeit Maschine Kunst“.

Horst Göbbel