21. Mai 2015
Live-Hörspiel „Der Zauber des Sprechens“

Live-Hörspiel „Die Weber“
Schlesische Geschichte neu präsentiert

„Was der Weberaufstand ist, weiß man ja!“ – wenn man sich die Reaktion einiger der zahlreich anwesenden Schüler der Q11 des Neuen Gymnasiums Nürnberg und des Maria-Ward-Gymnasiums anschaut, bekommt man Zweifel an dieser Aussage einer älteren Zuhörerin. Wer das Thema im Unterricht nicht wenigstens kurz behandelt hatte, wird an diesem 21. Mai 2015 Schwierigkeiten gehabt haben, dem Inhalt zu folgen. Der neuartige Höreindruck lohnte jedoch den Besuch.

Der vom Handzettel angekündigte „Zauber des Sprechens“ war in der Aula der Schule spürbar. Allein schon die Stimmen und die ausdrucksstarke Sprechweise der drei Studierenden der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart (Maren Ullrich, Philipp Fahrenbruch, André Holonics) und ihrer Dozentin Erika Baumann beeindruckten das Publikum. Dabei war es weder ein Theater noch ein richtiges Hörspiel, das geboten wurde, denn dafür fehlte die Dramaturgie. Vom bloßen „Herunterleiern“ von Gedichten kann aber auch nicht die Rede sein, es wurde vielmehr der Beweis angetreten, dass man Zuhörer allein mit (gestaltendem) Sprechen, Singen und Gitarrenspiel (Thilo Ruck) auf eine Reise in andere Zeiten und andere Welten mitnehmen kann.

Die miserablen Arbeits- und Lebensbedingungen sowie der logisch folgende Aufstand der schlesischen Weber im Jahre 1844 waren das Thema des Abends. Gedichte von Ferdinand Freiligrath, Georg Weerth und, selbstverständlich, Heinrich Heine schildern nicht nur den Hunger, die Ausbeutung und das Elend, sondern auch die Wut gegen die Oberen und die sich steigernde Aggression. Heines Weberlied mit seinen drei enthaltenen Flüchen gegen Gott, König und Vaterland wurde dabei als eingängiges Lied mit treibender Gitarre interpretiert. Mit ihrem Arrangement trafen die Studierenden voll ins Schwarze, die Schüler zeigten sich begeistert davon, was man aus vermeintlich langweiliger Lyrik alles machen kann.

Mit Auszügen aus Hauptmanns Drama „Die Weber“ wurde dem Publikum hingegen eine Kost geboten, die etwas schwerer verdaulich war. Drei Vortragende, die zum Teil mehr als nur eine Rolle übernahmen, ausbleibendes szenisches Spiel und dazu ein Wortschatz, der im 21. Jahrhundert teilweise nicht mehr geläufig ist: Manch ein Zuhörer hatte seine liebe Not, Hauptmann zu folgen. Da half es auch nicht jedem, dass Erika Baumann zu Beginn des Abends eine ebenso kurze wie aufschlussreiche historische Einführung ins Thema gegeben hatte. Dabei thematisiert doch gerade Hauptmann das Wesentliche an der Geschichte: den aufkeimenden Widerstand und das Aufbegehren gegen die ausbeuterischen Fabrikanten.

Dass die damaligen Zustände in der Textilindustrie den heutigen sehr ähnlich sind, haben die überwiegend jugendlichen Zuhörer wiederum ohne Zweifel nachvollziehen können. Die Problematik ist brandaktuell und der abschließende Verweis auf die Situation in Südostasien absolut verständlich und wichtig. Dennoch wirkte die gespielte Szene mit der „Nachrichtensprecherin“ und ihren vermeintlichen „Auslandskorrespondenten“ in Bangladesch und Ägypten, wo heutzutage die Kleider der Europäer billig genäht werden, etwas plakativ und aufgesetzt.

Der Bogen in die Gegenwart wird aber in jedem Fall gespannt und das ist an diesem Abend vielleicht das Wichtigste. Es weiß heute eben nicht mehr jeder (junge) Mensch, was 1844 in Schlesien passiert ist. Den Schülern wurde folglich nicht nur historisches Wissen vermittelt, sie bekamen es auch in einem Genre dargeboten, das den allermeisten – nach eigenem Bekunden – unbekannt war. Eine Episode der Geschichte Schlesiens wurde also erneut erzählt. Und sie wurde auf ziemlich neue Art erzählt. Ob das Neuartige der Grund war, warum so wenig schlesische Landsleute im Publikum zu finden waren? Die Frage bleibt leider unbeantwortet, genauso wie die Frage, was ältere „Betroffene“ wohl zu diesem Abend gesagt hätten. So war es in der Aula des Neuen Gymnasiums also vor allem die Enkelgeneration, die gekommen war. Auch nicht schlecht.

Dagmar Seck