Damit Deine Familiengeschichte Nicht Bei Dir Endet
Am 06.und 07.April fand im Haus der Heimat Nürnberg ein Autorenseminar statt, mit
dem Titel „Trag die Geschichte deiner Familie in die nächste Generation!“. Dieser
Workshop wurde von der Landmannschaft der Deutschen aus Russland in Nürnberg
angestoßen.
Zu dieser Veranstaltung wurden Hr. Dr. Krieger, wissenschaftlicher Mitarbeiter des
BKDR und Frau Carola Jürchott, allgemein beeidigte Dolmetscherin und ermächtigte
Übersetzerin, als Referenten eingeladen.
In dem einleitenden Vortrag erzählte Dr. Krieger über verschiedene Ströme der
Auswanderung der Deutschen nach Russland.
Bereits zu Anfang des 18. Jahrhunderts kamen auf Einladung des Zaren Peter des
Großen Handwerker, Kaufleute, Militärs und Wissenschaftler aus deutschen
Fürstentümern, die hauptsächlich in den Großstädten wie Sankt Petersburg und
Moskau siedelten.
Die zweite große Welle der Auswanderung fand während der Regierung der Katharina
II., Mitte des 18.Jahrhunderts statt. In dieser Zeit wanderten hauptsächlich Bauern und
Handwerker aus, die die neu gewonnenen Regionen besiedeln und urbar machen
sollten.
Und schließlich unter dem Zaren Alexander I. Anfang des 19. Jahrhunderts kam es zu
einer nochmaligen massenhaften Auswanderung.
Herr. Dr. Krieger zeigte die hauptsächlichen Siedlungsgebiete und Regionen, die
während diesen Zeiten entstanden sind.
Wenn zur Zeit des Peters der Zuwachs der deutschstämmigen Bevölkerung
hauptsächlich in den Städten zu verzeichnen war, so siedelten Deutsche auf
Katharinas Einladung in Kolonien an der Wolga, am nördlichen Ende des
Schwarzmeergebietes, Wolhynien und Kaukasus.
Bei der Zuwanderung unter Alexander I. siedelten die Deutschen in Bessarabien,
Wolhynien, Südrussland und Transkaukasien.
Weiterhin berichtete Herr Dr. Krieger über die allmähliche Zurücknahme der
versprochenen Begünstigungen für Deutsche wie Befreiung vom Militärdienst,
Selbstverwaltung, Freiheit zur Ausübung jeweiliger Religion und Unterricht in der
Schule in deutscher Sprache, bis zur letztendlichen Auslöschung der Deutschen
Siedlungsgebiete.
Ein weiteres Kapitel in der Geschichte der Deutschen in der Sowjetunion wurde
aufgeschlagen mit der Deportation der Deutschen in die Gebiete Kasachstan und
Mittelasien, in den hohen Norden, nach Sibirien und Altai während des 2. Weltkrieges.
Ab dieser Zeit war deutsche Sprache nicht mehr gesellschaftsfähig. Deutsch wurde
nur in den Familien gesprochen und deutscher Unterricht in der Schule beschränkte
sich auf Unterricht als Fremdsprache, also zweimal die Woche.
Somit ist es auch nicht verwunderlich, dass Deutsche aus den Postsowjetischen
Staaten wenig oder gar nicht Deutsch sprachen.
Wie Herr Dr. Krieger so auch Frau Jürchott betonten die Wichtigkeit der Sammlung
der Informationen über die Schicksale der Deutschen aus Russland für das bessere
Verständnis und Akzeptanz in der Gesellschaft.
Sehr interessante Informationen über die Möglichkeiten der Spurensuche nach
Lebensdaten der eigenen Vorfahren wurden von Herrn Dr. Krieger aufgezeigt und auf
die bekanntesten genealogischen Datenbanken und Internetseiten für verschiedene
Siedlungsgebiete hingewiesen.
Durch historisch unterschiedliche Siedlungsgebiete und freiwillige, aber v.a.
erzwungene Migrationen befinden sich Materialien zu den Vorfahren der
Russlanddeutschen in mehreren Ländern, auf verschiedenen Verwaltungsebenen und
in vielen administrativ-territorialen Einheiten. Die wichtigsten Länder sind es z.Z. die
Russische Föderation, die Ukraine, Kasachstan, Deutschland, die USA, Kanada und
Argentinien.
Der zweite Teil des Seminars war gewidmet der literarischen Umsetzung, der bereits
vorhandenen Aufschreibungen und Erinnerungen der Teilnehmer der Schreibwerkstat.
Viele von uns hatten ja schon eine oder mehrere Episoden aus der Vergangenheit
unserer Eltern, oder breiter genommen – unserer Vorfahren – aufgeschrieben, jedoch
wusste keiner so richtig: wie bringe ich meine zahlreiche Aufzeichnungen in einem
strukturierten Text unter, was muss ich beachten, gibt es Normen?
Ehrlich gesagt, wir alle waren etwas aufgeregt, aber als Carola Jürchott sich vorstellte,
lud uns ihre offene und freundliche Art auf einer „Du-Ebene“ zu kommunizieren, was
auch die Anspannung lockerte.
Aus dem Vortrag von Carola wurde schnell klar, dass man für sich selbst erst
verschiedene Eckpunkte definieren soll:
– für wen schreibe ich, wer soll meine Leserschaft werden
– das Thema klar vor Augen haben: Familiengeschichte, Biografie, Generationensaga
– literarische Form wählen: Bericht oder Memoiren, Briefroman, Mosaikgeschichte
Ja, das und vieles mehr gilt es zu beachten. Die Erzählung ganz gleich in welcher
Form in den historischen/gesellschaftlichen Hintergrund einbetten. Das A und O dabei
ist die gründliche Recherche zum Thema.
Die verschiedenen Mittel der literarischen Umsetzung
– Thematisch
– Zielgruppenspezifisch
– Stilistisch
wurden anhand von vielen Beispielen von Carola erläutert.
Und dann ging es zum praktischen Teil über.
Carola brachte eine ganze Menge von Kärtchen, mit vorgegebenen Themen, zu
denen wir in der Zeitspanne von 1 Stunde eine Geschichte schreiben sollten.
Jeder von uns hat ein Kärtchen ausgewählt und los ging es zum Schreiben.
Nach einer Stunde des eifrigen Schreibens lasen wir unsere Geschichten vor und
waren selbst erstaunt wie gut die geworden sind. Jede der vorgestellten Geschichten
wurde von uns lebhaft durchdiskutiert und Carola machte ihre Anmerkungen.
Diese Schreibübung – als geistige Frühgymnastik – tat uns gut.
Danach ging es zum Thema „Tipps zur Veröffentlichung kürzerer Texte“.
In diesem Teil wurden mögliche Optionen aufgezeigt: ob in einer Anthologie oder
einem Sammelband und die zu beachtenden Kriterien zu Struktur und Genre erörtert.
Carola sprach über die Vorbereitung der Texte zum Druck, konkret über Lektorat und
Korrektorat, über die Formatierung und letztlich über die Endkontrolle.
Am Nachmittag des 2. Tages lasen einige von uns aus ihren eigenen Aufzeichnungen,
die sehr bewegend und emotionsbeladen waren.
Auch dazu machte Carola sachliche Anmerkungen und ermunterte uns alle weiter zu
machen.
Schreiben, damit diese ganz spezielle Geschichte der Deutschen in Russland nicht
vergessen wird, damit unsere Kinder und Enkelkinder nicht auf dem leeren Feld der
ausgelöschten Kolonien stehen, sondern stolz auf ihre Vorfahren blicken können: auf
ihre Tüchtigkeit, auf ihren Mut und Wagnis, auf ihre Kraft.
Nelli Diehl